Story

Episode I

Allie auf dem Bauernhof

Ich lernte Allie in einer Bar kennen. Ich saß am Tresen im ​Silverstar, einer schäbigen
Spelunke, die aber das billigste Bier der Stadt hatte und wollte nur meine Ruhe haben.
Meine Freundin hatte mich vor ein paar Wochen, kurz vor unserer Hochzeit, sitzen lassen,
sich mit ihrem neuen Typen verlobt und meine Laune war nicht besonders. Ich pulte am
Bierdeckel herum, der auf dem Tresen klebte, zog an meiner Zigarette und als ich aufblickte,
sah ich Allie. Das erste, was mir auffiel, waren ihre großen Augen. Ich fand sie ziemlich
seltsam. Fast sah sie aus wie eine japanische Mangafigur und ihr Haar, war nicht blond und
wallend, so wie ich das mochte, sondern es war braun und saß wie ein Helm auf ihrem Kopf.
Eine Strähne fiel ihr in die Stirn, die sie versuchte wegzupusten. Es sah aus, als hätte sie ihr
Haar mit einer Nagelschere geschnitten. Sie setzte sich neben mich, lächelte mich an und
bestellte auch ein Bier. Heimlich, als der Barkeeper nicht hinsah, schenkte sie uns ein
“Zauberwasser”, wie sie es nannte, aus einem Flachmann ein, den sie in ihrem BH
versteckte. Es schmeckte köstlich, machte mich noch betrunkener als ich ohnehin schon war
und nach ein paar weiteren Drinks erzählte sie mir eine hanebüchene Story, woher sie
diesen Gin angeblich hatte. Irgendwas mit dem alten Ägypten und sie sei eigentlich ein
Alien, das vor langer Zeit besoffen dort gelandet war und die Pyramiden gebaut hatte.
Irgendwie hatte man sie versehentlich in der Pyramide eingeschlossen, weil sie so
schusselig war und ihre Alienkollegen waren ohne sie zurück ins Weltall geschippert und
seitdem wäre sie dort gefangen gewesen. Wie sie aus der Pyramide floh und warum sie sich
so gut gehalten hatte, nach tausend Jahren Schönheitsschlaf, wollte sie mir ein anderes Mal
erzählen.

Wir landeten im Bett, bei mir in der Bude, wir schliefen aber nicht miteinander, wir waren viel
zu betrunken. Stattdessen unterhielten wir uns die halbe Nacht, bis in die frühen
Morgenstunden, über Gott und die Welt und als ich schließlich doch kurz eindämmerte und
mit pochenden Kopfschmerzen wieder aufwachte, war sie weg. Als ich im Badezimmer
stand und mich rasierte, fragte ich mich, ob ich Allie jemals wieder sehen würde. Ich mochte
sie gerne, es war lange Zeit her, dass ich mich so gut mit jemandem unterhalten hatte und
fand es schade, dass sie sich rausgeschlichen hatte. Ausserdem war sie eine gute
Ablenkung von Yvette, meiner Ex.

Ich hätte ihr Rührei mit Speck machen können oder schöne, fettige Bratkartoffeln. Genau
das Richtige, um einen ausgewachsenen Kater zu verscheuchen. Vielleicht aber fand sie die
Vorstellung bei einem Bauern auf einer Farm zu leben nicht so ansprechend, das, was mir
Yvette immer vorgeworfen hatte. Was ich verstehen konnte. Ich war zwar erst Mitte 30 und
ich wusste, dass junge Frauen lieber in der Stadt lebten. Ich aber fühlte mich auf dem Land
heimisch. Ich mochte die goldgelben Weizenfelder, den Geruch von frisch gemähtem Gras,
das beruhigende Schnauben der Pferde und den wabernden Nebel im Herbst.

Ich hatte mich fast fertig rasiert, draussen hörte ich eine Ziege meckern, als es an der Tür
klopfte. Ich trocknete mein Gesicht mit einem Handtuch ab und schlurfte zur Tür. “Bin gleich
da Edy”, rief ich. Doch dort stand nicht Edy, der Junge aus dem Nachbardorf, der die
Milchflaschen ausfuhr, um sich etwas dazuzuverdienen, sondern sie: Alli! Sie hatte Brötchen
dabei und schien überhaupt nicht verkatert zu sein. Sie sah aus wie das blühende Leben,
drückte sich an mir vorbei und machte sich in der Küche zu schaffen, als würde sie das
schon immer so machen.

Wir saßen kurze Zeit später am kleinen Esstisch, tranken heißen Kaffee und das Rührei mit
Butter und dem selbstgebackenen Brot, duftete köstlich. Ich haute ordentlich rein, Allie ließ
ihr Besteck liegen und als ich fragte, ob ihr der Magen nicht in den Kniekehlen hinge, meinte
sie, dass sie keine Nahrung bräuchte. Ich stutzte, ging aber nicht weiter darauf ein, vielleicht
folgte sie irgendeinem Ernährungstrend oder war auf Diät, wobei sie eigentlich dünn genug
war und ein paar Kilo mehr würden nicht schaden. Im Gegenteil, mir fiel auf, wie dünn ihre
Handgelenke waren, wie ihre Schultern mager und schlaff herunterhingen. Ich bemerkte,
dass sie etwas bedrückte. Dann rückte sie mit der Sprache raus. Sie hätte nicht gescherzt,
sie sei ein Alien. Und wolle wieder nach Hause. Nervös spielte sie mit den Fingern an ihrer
Kaffeetasse herum. Ich glaubte ihr natürlich kein Wort, sondern lachte. Es sei kein Scherz,
sagte sie, die Regierung hätte zudem mitbekommen, dass sie hier war, sie sei schon lange
auf der Flucht und wolle nun endlich zurück. Ängstlich sah sie sich um. “Sie suchen mich,
um Tests mit mir zu machen und dann, dann wollen sich mich töten”, flüsterte sie. Ob sie
hier leben und ob ich ihr helfen könne, nach Hause zu kommen? Wollte sie wissen. Wie sie
denn nach Hause kommen wolle, soll ich ihr ein Raumschiff bauen? Wollte ich wissen und
wischte mir mit meinem Hemdsärmel die Lachtränen aus dem Gesicht. Allie lachte nicht. Sie
blickte auf ihre langen, zarten Finger, die neben ihrem Teller lagen, sie fingen an zu zittern.
Zitterten immer stärker und da geschah es. Auf einmal krachte das Regal über dem Herd mit
einem lauten Donnern hinunter und die Tassen zersprangen klirrend auf dem Boden. Ich
erschrak und schaute Allie verdutzt an. Sie zuckte mit den Schultern. “Entschuldigung, das
hat mich wütend gemacht”, sagte sie.

Ich war mir nicht mehr sicher, ob sie einfach geisteskrank war, es Zufall war, dass das
lockere Regel genau zu diesem Zeitpunkt runterkrachte und ich ärgerte mich, dass ich es
noch nicht repariert hatte, oder ob vielleicht an der Geschichte doch etwas dran war.
Jedenfalls lebte bei mir ab diesem Zeitpunkt Allie, die ich vor der Regierung und Spitzeln
verstecken sollte, die ein offensichtliches Essproblem hatte und die wieder nach Hause auf
den Planeten ​Fla wollte. Wie das funktionieren sollte, wollte sie mir demnächst erzählen. Die
verrückteste Zeit in meinem Leben begann und davon werde ich das nächste Mal erzählen.

Schaut bald wieder vorbei denn es geht weiter..

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